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Im Überblick

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Das Forschungsprojekt im Überblick

Ziele des Projektes

Ziel des Projektes ist es, erstmalig eine therapeuten-gestützte Online-Intervention für Personen, die ein Kind sexuell missbraucht oder Missbrauchsabbildungen konsumiert haben und unter Bewährungshilfe und Führungsaufsicht stehen, zu entwickeln und nach aktuellen wissenschaftlichen Standards zu evaluieren. Ziel ist dabei nicht, den aktuellen Standard der Bewährungshilfe oder Führungsaufsicht zu verändern. Ziel ist es, dem Bewährungshelfer ein weiteres Tool an die Hand zu geben, so dass die Arbeitsbelastung reduziert und die Sicherheit der Öffentlichkeit gestärkt wird.

Wissenschaftlicher Hintergrund

Sexueller Kindesmissbrauch stellt eines der schwerwiegendsten Ereignisse für die gesunde Entwicklung eines Kindes dar. Therapieprogramme für Kindesmissbrauchstäter können nachweislich das Risiko, rückfällig zu werden, senken (z. B. Lösel et al., 2015). In den letzten Jahren konnten zunehmend Faktoren gefunden werden, die einen erneuten Rückfall nach bereits begangenen Straftaten begünstigen oder erleichtern (z. B. Mann et al., 2010). Eine Möglichkeit, viele Personen therapeutisch anzusprechen, sind Online-Interventionen. Im Bereich der allgemeinen klinischen Psychologie hat es innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte über 100 randomisierte Kontrollstudien zur Überprüfung internetbasierter Interventionen gegeben. Dabei zeigten sich moderate bis sehr starke Effektstärken (z. B. Hedman et al., 2012). In Deutschland gibt es nach unserem aktuellen Wissen keine internetbasierten, therapeutengestützten Behandlungsprogramme für Hellfeldtäter, also für Menschen, die bereits aufgrund einer Missbrauchstat oder des Konsums von Missbrauchsabbildungen verurteilt wurden (Wild, Fromberger et al., 2018).

Weitere Informationen zum wissenschaftlichen Hintergrund finden Sie hier.

eHealth-App

In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Programmen, um Kindesmissbrauch vorzubeugen. Professionelle Interventionen für Täter, die bereits rechtskräftig verurteilt wurden, gibt es jedoch nur wenige. Insbesondere in ländlichen Regionen werden diese häufig gar nicht angeboten. Online-gestützte Interventionen könnten diese Versorgungslücke schließen. Herzstück von »@myTabu« ist daher die Entwicklung und wissenschaftliche Evaluation einer therapeutengestützten Online-Intervention (eHealth-App) für bereits verurteilte Personen, die ein Kind sexuell missbraucht oder MIssbrauchsabbildungen konsumiert haben. Die Online-Intervention umfasst unterschiedliche Module, die gezielt bestimmte Risikofaktoren reduzieren. Beispielsweise können Betroffene mit der Online-Intervention lernen, wie man mit negativen Emotionen und Erlebnissen besser umgehen kann oder weshalb bestimmte Entscheidungen im Leben dazu führen können, dass man selbst zum Täter wird. Mit Hilfe vieler Erklärvideos und Übungen können Betroffene online und unabhängig von ihrem Standort jederzeit an ihrer Resozialisierung und der Verhinderung erneuter Straftaten arbeiten. Klienten und Coaches können über einen geschützten und sicheren In-App-Messenger kommunizieren und ihre Gedanken unter Schweigepflicht austauschen. Aber auch Bewährungshelfer können mit ihren Klienten über das System kommunizieren und zeitnah auf Anregungen und Wünsche ihrer Klienten reagieren.

Online-Risikoerfassung

Weiterhin wird ein kontinuierliches Online-Risikobeurteilungsinstrument zur Identifizierung von potentiellen Risikosituationen entwickelt, so dass frühzeitig und präventiv erneute Rückfälle erkannt und vermieden werden können. Behandlungsprogramme sind nachweislich dann am effektivsten, wenn die Risikovariablen behandelt werden, die am stärksten mit Rückfallgefährdung zusammenhängen (Andrews & Bonta, 2007). Durch eine kontinuierliche Online-Risikoerfassung kann dieses Prinzip berücksichtigt werden. Somit führt eine Online-Risikoerfassung einerseits zu einer effektiveren und dem individuellen Klienten besser angepassten Intervention, andererseits wird dadurch der Schutz der Öffentlichkeit sichergestellt.

Gesundheitsökonomische Evaluation

Die Folgen eines sexuellen Kindesmissbrauchs lassen sich eigentlich nicht monetär schätzen, zu komplex und intensiv sind die emotionalen und psychischen Konsequenzen eines Missbrauchs. In Zeiten, in denen jedoch auch das Gesundheitssystem der Logik des Geldes folgt, erscheinen solche Einschätzungen als unumgänglich. So gehen aktuelle Schätzungen davon aus, dass jeder in die Behandlung und Rückfallprävention von Kindesmissbrauchstätern investierte Euro bis zu 12 Euro an durch die Folgen eines sexuellen Missbrauchs entstehenden Kosten einspart (z. B. Habeta et al., 2012; Post et al., 2002; Donato & Shanahan, 1999). Diese Schätzung zeigt, dass »@myTabu« möglicherweise nicht nur die Kosten der Behandlung entlassener Straftäter senken kann, sondern auch die Folgekosten aufgrund von Rückfallen zu reduzieren hilft. Ob dies wirklich so ist, wird im Rahmen von »@myTabu« wissenschaftlich geprüft und aktuelle Zahlen werden ermittelt.

Open Source

»@myTabu« verfolgt stringent den Open-Source Gedanken. Die im Rahmen des Projektes entwickelte eHealth-App für bereits verurteilte Kindesmissbrauchstäter und Konsumenten von Kindesmissbrauchsabbildungen wird unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlicht. Dadurch können interessierte Institutionen, Wissenschaftler, Behörden, aber auch Betroffene die App in eigene Projekte einbinden – ohne das zusätzliche Kosten anfallen.

Alle bisher veröffentlichten Open-Source Repositories finden Sie hier.

Literatur

Andrews, D. A. & Bonta, J. (2007). The risk-need-responsivity model of assessment and human service in prevention and corrections: Crime-prevention jurisprudence. The Canadian Journal of Criminology and Criminal Justice, 49, 439-464.

Donato, R. & Shanahan, M. (1999). The Economics of Implementing Intensive In-Prison Sex-Offender Treatment Programs. Canberra: Australian Institute of Criminology.

Habetha, S., Bleich, S., Weidenhammer, J. & Fegert, J. M. (2012). A prevalence-based approach to societal costs occurring in consequence of child abuse and neglect. Child Adolesc Psychiatry Ment Health, 6(1), 35.

Hedman, E., Ljótsson, B., & Lindefors, N. (2012). Cognitive behavior therapy via the Internet: a systematic review of applications, clinical efficacy and cost–effectiveness. Expert Review of Pharmacoeconomics & Outcomes Research, 12(6), 745-764.

Lösel, F. & Schmucker, M. (2005). The effectiveness of treatment for sexual offenders: A comprehensive meta-analysis. Journal of Experimental Criminology, 1, 1-29.

Mann, R. E., Hanson, R. K., & Thornton, D. (2010). Assessing risk for sexual recidivism: Some proposals on the nature of psychologically meaningful risk factors. Sexual Abuse, 22(2), 191-217.

Post, L. A., Mezey, N. J., Maxwell, C. & Wibert, W. N. (2002). The Rape Tax. Journal of Interpersonal Violence, 17(7), 773-78

Wild, T. S., Fromberger, P., Jordan, K., Müller, I., & Müller, J. L. (2018). Web-Based Health Services in Forensic Psychiatry: A Review of the Use of the Internet in the Treatment of Child Sexual Abusers and Child Sexual Exploitation Material Offenders. Frontiers in Psychiatry, 9.